Interview mit Timo Heitmann

Die Tricks der Versicherungsdetektive - Empathie ist der Schlüssel

Betrug mit Reiserücktrittsversicherungen durch Inhaber eines Tourismusbüros, totgesagte Ex-Männer oder sogar Selbstverstümmelung. Der Versicherungsbetrug und seine Schlagzeilen scheinen schier keine Grenzen zu kennen. Einer, der sich von Berufs wegen mit Versicherungsbetrug befasst ist Timo Heitmann. Der „Versicherungsdetektiv“ ist Teamleiter in der Schadenregulierung der Gothaer und kennt die Warnsignale. Im Interview spricht er über die aktuelle Fall-Lage und Auswirkungen der Corona Krise.

Timo Heitmann

Redaktion: Herr Heitmann, in zehn Staffeln der „Versicherungsdetektive“, waren laut eigener Aussage alle Fälle echt. Nach welchen Kriterien wurde entschieden, welche – aus der Summe aller Fälle – für das TV-Format „taugen“?

Timo Heitmann: Ja, es handelt sich um echte Fälle, echte Kunden und echte Geschädigte. Auch um echte Ortstermine, die im Ergebnis zu der Entscheidung führen, wie sie auch im TV-Format gezeigt wird. Das macht die Versicherungsdetektive zu etwas Einzigartigem und davon hängt nach unserer Überzeugung auch der langjährige Erfolg ab – eben von der Echtheit. Die Gothaer bekommt täglich unzählige Schadensmeldungen, von denen wir für dieses Fernsehformat geeignete Fälle raussuchen, die man nicht auf Anhieb nachvollziehen kann.

Wenn sich aus den uns eingereichten Unterlagen zum Schadenhergang kein schlüssiges Gesamtbild ergibt, besteht zwangsläufig der Bedarf zur weiteren Aufklärung.

Manchmal erklärt sich der Sachverhalt dann im Positiven und wir regulieren den Schaden umgehend. Manchmal verhärtet sich jedoch auch der Betrugsverdacht, zum Beispiel wenn sich die Beteiligten immer tiefer in Widersprüche verstricken. Es kommt auch vor, dass die Beteiligten sogar Geständnisse vor laufender Kamera ablegen – das ist dann zugegebener Maßen die „Königsklasse“.

Redaktion: Welcher – vielleicht auch aktuellere Fall – ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Timo Heitmann: Erst kürzlich lief das 10-Jahre Best-of Versicherungsdetektive auf RTL. Auch damit haben wir – trotz wiederholten Fällen aus den letzten Staffeln – wie immer ein Millionenpublikum erreicht. Die Rückmeldungen bis zu mir persönlich – auch über Instagram und Facebook – waren gigantisch. Besonders die Geschichten „aus dem Leben“ erreichen die Zuschauer. Die Klassiker sind geliehene Kleider, ein angeblich abhanden gekommener Gucci-Anzug oder das Zubruchgehen teurer italienischer Vasen sowie dutzende zerbrochene TV- oder Handydisplays. Es sind aber auch die Fälle mit positiver Wendung, die in Erinnerung bleiben.

Redaktion: Ist Empathie gegenüber den Versicherten ein Vor- oder Nachteil?

Timo Heitmann: Empathie ist mit oder ohne TV-Kamera eine der wichtigen Kompetenzen eines guten Schadenregulierers. Schadensfälle sind kleinere und größere – bis hin zu existenziellen – Schicksalsschlägen für die Betroffenen. Die Abarbeitung nach Schema F ist hierbei nicht der richtige Weg. Vielmehr muss ich begreifen, wie die Betroffenen sich persönlich fühlen – wie sie persönlich betroffen sind – um sie adäquat zu betreuen und den Schaden für sie bestmöglich „zu managen“.

Redaktion: Für das Format sowie Ihren Bereich generell, ist der Außendienst essentiell. Wie sieht das in Zeiten von Corona aus?

Timo Heitmann: Corona stellt an unsere Gesellschaft aktuell ganz besondere Herausforderungen. Mitarbeiter im Außendienst sind von diesen Herausforderungen durch den persönlichen Kontakt zum Kunden natürlich ganz besonders stark betroffen.

Dadurch, dass jedoch die gesamte Bevölkerung beruflich wie privat gleichsam der Bedrohungslage der Pandemie ausgesetzt ist, herrscht größtmögliches Verständnis auf allen Seiten.

Dieses Verständnis hilft dabei, den Job und das Verhalten im Ortstermin auf ein gesundes Maß anzupassen. Wir bearbeiten gerade zudem auch mehr Schäden als früher vom Schreibtisch aus. Hierbei helfen uns die Kunden und Vertriebspartner. Zum Beispiel indem sie mehr Informationen digital zur Verfügung stellen, beziehungsweise sich bemühen, den Vorgang auch auf virtuellem Wege transparent und nachvollziehbar darzustellen. Auch die Anzahl der Teilnehmer beim Ortstermin, Abstandsregelungen und Hygienemaßnahmen kann man ganz gut abstimmen und anpassen.

Redaktion: Inwieweit sind die Schadensfälle während der Pandemie zurückgegangen oder haben sich inhaltlich verlagert?

Timo Heitmann: Nun, wenn weniger Verkehr auf den Straßen herrscht, passieren auch weniger Unfälle. Wenn ich den ganzen Tag im Homeoffice arbeite, nehme ich einen Brand oder Wasserschaden eher wahr und kann ihn in seiner Entwicklung vielleicht sehr frühzeitig eindämmen. Wenn die Menschen nicht verreisen, finden auch weniger Einbruchschäden statt. Wenn sich ganze Betriebe im Lockdown befinden, entstehen auch dort weniger Schäden. Insgesamt sind daher die Schadenmeldungen im Kompositbereich durch Corona etwas gesunken. Im Zuge von Betriebsschließung beziehungsweise Betriebsunterbrechung oder von Ausfalldeckungen zu geplanten Veranstaltungen und Konzerten sind die Versicherer aber mehr gefordert denn je.

Redaktion: Aus Erfahrung gesprochen, auf welche Indikatoren muss der Makler bei Schadensfällen achten. Wann muss er bezüglich eines möglichen Betrugs hellhörig werden?

Timo Heitmann: Es gibt zahlreiche Anknüpfungspunkte, die bei mir automatisch und zum Teil fast unbewusst und „rasterartig“ beim Verarbeiten einer Schadenanzeige ablaufen. Dabei kommt es zum Beispiel auf die Beziehung der Beteiligten zueinander an. Außerdem: Inwieweit erscheinen die Schadenausprägungen kompatibel zum Hergang? Aber auch die Frage, wie wirtschaftliche Aspekte und Hintergründe der Betroffenen mit hinein spielen.

Ich empfehle, sich etwas tiefer mit diesen Feldern zu befassen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, zumindest aber auf sein erstes Gefühl grundsätzlich einmal zu vertrauen und dieses ernst zu nehmen.

Als Makler muss ich beispielsweise nicht jede Schadenmeldung durchreichen zum Versicherer. Ich persönlich sehe es auch als Teil der Kundenbetreuung an, offen mit dem Kunden zu sprechen, selbst den Vorgang zunächst gänzlich verstanden haben zu wollen und ihn einschätzen zu können, um im Zweifel die Kunden auch vor kriminellen Schritten zu bewahren. Wir wissen ja – Versicherungsmissbrauch ist kein Kavaliersdelikt und ist die Kugel erst einmal aus dem Lauf, kann man sie nicht mehr aufhalten.