Das Land der Versicherungsträume?
Das deutsche Gesundheitssystem mit gesetzlicher und privater Krankenversicherung steht immer wieder in der Kritik. Aber ist es wirklich so schlecht, wie manche Politiker sagen? Wir nehmen die Versicherungssysteme in Europa genau unter die Lupe. Heute: Schweden.
Für viele Deutsche ist Schweden das Land ihrer Träume. Vor allem soziale Gerechtigkeit und Bürgernähe des Wohlfahrtsstaates werden gelobt. Und immer wieder das Gesundheitssystem. Wie aber steht es darum wirklich? Im Rahmen der Reihe „Gesundheitssysteme in Europa“ blicken wir in dieser Folge hinter die schwedischen Kulissen.
Der Vergleich zwischen dem skandinavischen Land und Deutschland ähnelt einem zwischen David und Goliath. Deutschland hat mehr als 80 Millionen Einwohner, Schweden nur etwa ein Neuntel davon. Während Schweden in den vergangenen Jahren einen Bevölkerungsrückgang verzeichnete, verursachen bei uns Einwanderungen jedes Jahr einen Bevölkerungszuwachs. 2020 sollen Hochrechnungen zufolge 9,7 Millionen Menschen im Land leben.
Für die Wahrnehmung und Umsetzung der staatlichen Aufgaben auf regionaler Ebene ist Schweden in 21 Provinzen (län) eingeteilt. Eine Provinz umfasst meist das gleiche Gebiet wie die so genannten Landtage (landsting). Diese wiederum sind – neben weiteren Bereichen – insbesondere für das Gesundheitswesen verantwortlich. Die Einrichtungen des Gesundheitssystems befinden sich demzufolge größtenteils in öffentlicher Hand und werden aus Steuermitteln finanziert. Der Staat spielt also in Schweden auch beim Thema Gesundheit die entscheidende Rolle.
Die Landtage legen für ihre Bürger Gebühren und Steuern fest und finanzieren daraus etwa drei Viertel der Gesundheitsausgaben. Insgesamt fließen etwa 90 Prozent des Haushaltes der Landtage ins Gesundheitssystem. Weil dies über die Einkommenssteuer geschieht, werden die Bürger analog zu ihren Einnahmen belastet. Darüber hinaus trägt jeder Patient zusätzlich knapp ein Fünftel zur Finanzierung der Kosten seiner Gesundheit bei. Dies wird über diverse Gebühren, Zuzahlungen und eine direkte Eigenbeteiligung an der Finanzierung abgerechnet. Einen weiteren, kleinen Teil der Gesundheitsausgaben trägt der Verkauf von Leistungen an andere Landtage bei. Reicht das Geld nicht aus, um auf diese Weise die Kosten für die Gesundheit aller Schweden zu stemmen, springt der Staat ein.
Egal, wie viel sie verdienen – alle Bürger Schwedens haben ein Recht auf medizinische Versorgung. Diejenigen mit dem dringlichsten Bedarf stehen dabei an erster Stelle. Seit 1997 gibt es in Schweden eine Prioritätenliste. An erster Stelle stehen lebensrettende Maßnahmen, die Palliativmedizin sowie die Behandlung chronisch Kranker und Behinderter. Danach kommen Prävention und Rehabilitation, schließlich alle nicht akuten und nicht chronischen Erkrankungen. Am längsten warten müssen Bürger mit nicht krankheits- oder unfallbedingten Anlässen. Bei der Wahl der medizinischen Dienstleistungen kommt es auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen an.
Fakt ist, dass viele Schweden über lange Wartezeiten klagen. Selbst bei schweren Erkrankungen wie etwa Prostatakrebs mit Metastasen kann das Warten auf eine OP mitunter ein halbes Jahr dauern. Auch die Anzahl der niedergelassenen Ärzte liegt weit unter der in Deutschland. Zudem rechnen die Mediziner oft nur privat ab, weswegen sich immer mehr Menschen zusätzlich auch privat versichern. Dies hat dazu geführt, dass es bei den Versicherern eine starke Zunahme an privaten Tarifen gibt, die sich allerdings meist im Bereich der Zusatzpolicen abspielen. Man wird damit bei den Ärzten zwar nicht besser behandelt, kann aber möglicherweise lange Wartezeiten umgehen.
Grundsätzlich sollen Schweden aber im Krankheitsfall eher nicht zu einem Privatarzt gehen, sondern in ein so genanntes Primärversorgungszentrum mit Fachärzten für alle Fachrichtungen. Das Problem ist, dass man dort auch nicht sofort behandelt wird. Denn anders als in Deutschland müssen sich Patienten in Schweden zunächst an eine so genannte Distriktpflegekraft wenden, die für die Erstversorgung zuständig ist. Wie ein Gesundheits-Paradies wirkt das schwedische System also eher nicht.
• Die Gesundheitsversorgung ist – abgesehen von Arznei- und Hilfsmitteln – grundsätzlich kostenlos.
• Keine medizinische Vorzugsbehandlung für einzelne Bevölkerungsgruppen, solange man sich im staatlichen System bewegt.
• Extrem große staatliche Kontrolle durch Distriktpflegekräfte, die über weitere Behandlungen durch Fachärzte und Klinikaufenthalte entscheiden.
• Extrem lange Wartezeiten selbst für dringend Behandlungs bedürftige.
• Keine flächendeckende Versorgung durch niedergelassene Ärzte, die zudem oft ausschließlich privat abrechnen.