Berufsunfähigkeit (SBU)
More risk, more fun: Die Gothaer hat ihre Liste an Freizeitsportarten, die zu Zuschlägen oder zum Ausschluss in der Berufsunfähigkeitsversicherung führen, radikal gekürzt. Das holt Maklerinnen und Makler aus einem Dilemma. Aber wie kann sich der Versicherer das leisten, Herr Knop?
Rafael Knop ist Verantwortlicher Aktuar und Leiter des mathematischen Bereichs bei der Gothaer.
Seit einem halben Jahr werden bei der Gothaer fast alle Freizeitrisiken, selbst Paragliding oder Segelfliegen, ganz normal versichert. Wie kam es zu den Änderungen?
Die Abfrage der Freizeitrisiken führt in der Beratung oft zu emotionalen Momenten und bringt Maklerinnen und Makler in Erklärungsnot. Da sitzt dann eine Kundin oder ein Kunde, der sich gesund ernährt, nicht raucht, kaum trinkt und topfit ist. Aber er muss einen Zuschlag zahlen, weil er Mountainbike fährt und das gilt nun mal als Risikosport. Das lässt sich kaum verargumentieren.
Sport ist grundsätzlich erstmal gesund und geht auch bei Vielen mit einem gesünderen Lifestyle einher. Man muss sich dann die Frage stellen: Überwiegen nicht die positiven Effekte dieses Lebensstils gegenüber dem Restrisiko, sich schwer zu verletzen? Aus diesem Dilemma wollten wir die Maklerinnen und Makler befreien.
Was heißt das konkret?
Das Problem sind in der Regel nicht die eindeutigen Sportarten. Beim Motorradrennsport oder Höhlentauchen ist die Bewertung als Extremsportart für die Leute nachvollziehbar. Wenn hier etwas passiert, ist es direkt etwas Schwerwiegendes. Anders verhält es sich zum Beispiel beim Skifahren, Surfen oder Mountainbiken – besonders wenn es dabei noch verschiedene Abstufungen gibt. Je nachdem, wie man diese Sportart ausübt, waren es in unseren früheren Annahmeregeln mal 25 Prozent Risikozuschlag, mal 50 Prozent oder mal der komplette Ausschluss. Das war einfach undurchsichtig. Wir wollten, dass es eine klare Abgrenzung gibt: Entweder eine Sportart ist riskant oder eben nicht. Ganz oder gar nicht.
Dieser „Ganz oder gar nicht“-Ansatz klingt nach einem hohen Risiko für Versicherungsunternehmen. Kann die Gothaer sich den Schritt leisten?
Ganz ehrlich: Wir nehmen jetzt Risiken an, die wir vorher nur mit Zuschlag versichert hätten. Natürlich kann sich das auf das Kollektiv auswirken. Unsere Aufgabe als Versicherer und ganz konkret meine Aufgabe als Aktuar ist es auch, dieses Kollektiv zu schützen. Es darf nicht durch höhere Prämien leiden, nur weil jemand ganz bewusst ein unkalkulierbares Risiko mit einem bestimmten Sport eingeht. Das wäre nicht fair. Wir waren daher auf Daten zu den Sportarten und ihren Risiken angewiesen. So dass wir uns nach deren genauer Analyse ganz sicher sein konnten, wo wir die Grenze setzen müssen. Und heute können wir guten Gewissens sagen: Ja, wir können uns das leisten.
Wie genau könnt ihr euch das leisten?
Nach der Datenanalyse ist die Liste mit den Sportarten, die wir als Extremsportarten einstufen, also bei denen wir um einen Ausschluss oder einen 100%-Zuschlag nicht herumkommen, tatsächlich sehr kurz geworden. Sogar noch kürzer als ich erwartet hatte. Dadurch können wir viel mehr Freizeitsportlerinnen und -sportler annehmen. Außerdem ist der Prozess der Risikoabfrage so auch stark vereinfacht und verkürzt.
Zusätzlich haben wir neben den Freizeitrisiken auch noch andere Aspekte der BU verändert, die sich auf die Prämien auswirken. Wir haben zum Beispiel unsere Berufsgruppensystematik angepasst, so dass wir in 70 Prozent unserer abgedeckten Berufe günstiger geworden sind. Das heißt natürlich auch, dass es Kunden gibt, für die es teurer wird. Aber für den Großteil konnten wir die Prämien insgesamt senken, ohne uns als Versicherer zu weit aus dem Fenster zu lehnen.
Welche Daten haben Sie sich für die Neubewertung angeschaut?
Unser Rückversicherer hat einen sehr großen Datenpool. Er bekommt exakte Meldungen dazu, wie viele Menschen in Deutschland und teilweise auch weltweit invalide werden und warum. Zusätzlich hat er Zugriff auf diverse Medizinstatistiken und eigene Ärztinnen und Ärzte. Diese Mischung aus Versichererdaten und Gesundheitsstatistiken war unsere Datenbasis. Wenn eine Sportart da nicht signifikant als problematisch aufgefallen ist, galt sie für uns automatisch als ganz normal versicherbar.
Wie steht die Gothaer mit ihren großzügigen Annahmeregelungen im Wettbewerb zu anderen Versicherern?
Wir sind top. Es gibt andere, die sind auch so gut wie wir. Aber es gibt niemanden, der besser ist. Man kann in Folgeschritten immer Dinge noch weiter verbessern, aber ich glaube, wir haben jetzt erstmal ein gutes Ausrufezeichen gesetzt.
Viele der Sportarten, die im Katalog der Freizeitrisiken auftauchen, werden immer beliebter, zum Beispiel Klettern oder Kitesurfen. Kann man es sich als Versicherer heutzutage gar nicht mehr leisten, solche Sportarten auszuschließen oder mit hohen Zuschlägen zu versehen, weil einem dadurch zu viele potenzielle Kundinnen und Kunden verloren gehen?
Absolut. Aber es ist ja auch so: Wenn Sportarten gesellschaftsfähiger werden, werden sie in der Regel auch weniger riskant. Ausbildungswege und Material werden besser, Sicherheitsstandards erhöht. Der Sport wird generell besser institutionalisiert und kontrolliert. Das ändert dann auch die entsprechende Risikobewertung davon. Wir müssen also auch immer auf neue Entwicklungen reagieren.
Die Broschüre „Annahmerichtlinien für Gothaer Risikoprodukte“ unterstützt Sie bei allen Fragen während des Antragsprozesses, zum Beispiel mit Tendenzaussagen zu den am häufigsten auftretenden Freizeitaktivitäten.